Objekt des Monats April 2023

Schreibgarnitur
Steingutfabriken Velten-Vordamm (Werk Velten), 1924
Dekorentwurf wahrscheinlich von Charlotte Hartmann 

Steingut, heller Scherben | gegossen
blau, weiß | handgemalt, transparente Glasur

Maße:
H 5,5 cm | Ø 24 cm
Sammlung des Fördervereins Ofen- und Keramikmuseen Velten

DINGE, DIE ES NICHT MEHR GIBT. Es existieren keramische Objekte, die vor rund 100 Jahren Teil des Alltags waren, mittlerweile aber verschwunden sind. Diese Schreibgarnitur aus den Steingutfabriken Velten-Vordamm ist ein solches. Aus ihr spricht eine Epoche, als Briefe und handschriftliche Korrespondenz Selbstverständlichkeiten waren, Stahlfeder und Tinte auf jeden Schreibtisch gehörten.

Durch und durch zweckdienlich und schlicht ist die Form: Aus der kreisförmigen Ablageplatte für Stifte und Tintenschreiber ragt mittig ein zylinderförmiges kleines Tintenfass. Es ist die rhythmische Bemalung mit feinen Strichen, die sofort ins Auge fällt und auch heute nicht altbacken wirkt. Deutlich wird: Kunstfertige Gestaltung und Funktionalität trafen in solchen industriell gefertigten Alltagsgegenständen aufeinander. Auch die Reduktion der Elemente auf das Wesentliche, nämlich die Linien, ist zum Teil der industriellen Fertigung und den damit verbundenen Zeitbeschränkungen verbunden. Striche und Vögelchen wirken schriftartig – wie passend für eine Schreibgarnitur.

Darüber hinaus erinnert dieses Dekor formal zumindest an die Entwürfe des Keramikers August Herborth, die er entwickelt hatte auf Grundlage seiner Studien der Malsysteme indigener Völker Brasiliens und die er 1927 in der Keramischen Rundschau veröffentlichte. Herborth hoffte, durch seine Palette reduzierter, handgemalter, bewegter Dekore unter anderem auch „den deutschen Export durch Eingehen auf die brasilianische Geschmacksrichtung zu fördern“.

Zeitlich kann Hartmann nicht von Herborth inspiriert worden sein. Aber es spricht aus seinen Entwürfen und ihren Dekoren für Velten-Vordamm ein gemeinsamer Ehrgeiz, durch kunstfertige, innovative und moderne Dekor- und Formgestaltung der deutschen Keramikindustrie neue Impulse zu verleihen und Wettbewerbsvorteile zu gewinnen. Die Verbindung frischer, künstlerischer Ideen und wirtschaftlicher Ambitionen war Programm in den Steingutfabriken Velten-Vordamm. Die Malerin Charlotte Hartmann legte als erste Leiterin der Malabteilung dort das stilistische Fundament für den internationalen Erfolg dieses Veltener Keramikgroßbetriebs. Sie definierte mit ihren Entwürfen eine Dekorsprache, an die ihrerseits Elisabeth Dörr und Hedwig Bollhagen später anknüpften.

Ihrem Wirken und Einfluss widmen wir anlässlich ihres 125. Geburtstages ab April dieses Jahr unsere Kernausstellung „Mit dem Pinsel frisch drauflos…“.